Die Klage von Saúl Lliuya gegen RWE

Saúl Luciano Lliuya zund Anwältin Roda Verheyen https://rwe.climatecase.org/de/material/saul-luciano-lliuya-und-seine-anwaeltin-roda-verheyen (© Germanwatch / Alexander Luna)
von Jana Simon
vom 10.06.2025

Ein kleiner Bauer aus Peru klagt gegen einen deutschen Energiegroßkonzern. Dieses Ereignis spielt sich seit etwa 9 Jahren vor dem Oberlandesgericht Hamm ab. Am 28.05. kam es zu einem Ergebnis.

Am 24.11.2015 reichte der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya aus der 55.000 Einwohner*innen großen Andenstadt Huaraz Klage beim Landesgericht Essen gegen den Energiekonzern RWE ein. RWE agiert europaweit und steht bei Umweltverbänden und Aktivist*innen wegen klima- und umweltschädlichem Braunkohleabbau seit langem in der Kritik. Der Grund für die Klage von Lliuya ist eine erhöhte Flutgefahr in Huaraz durch den immer weiter anwachsenden Gletschersees Palcacocha, dessen Ursache die klimawandelbedingte Gletscherschmelze ist. Die mündlichen Verhandlungen fanden im März vor dem Oberlandesgericht Hamm statt. Der ursprünglich auf den 14. April 2025 angesetzte Verkündungstermin wurde auf den 28. Mail um 10:00 Uhr verlegt.

Als Gründe für die Klage nennt Lliuya die anwachsende Überflutungsgefahr durch klimawandelbedingte Gletscherschmelze. Als einer der größten CO2 Emittenten Europas mit einem Anteil von etwa 0,4 % an den weltweiten CO2-Emissionen ist der Energiekonzern RWE mitverantwortlich für die Klimakrise und die damit verbundenen Gefahren in Huaraz. Bereits 1941 kam es dort zu einer Überschwemmung, bei welcher Tausende Menschen ums Leben kamen. Für die selbst getroffenen Schutzmaßnahmen rund um das Haus und das Dorf seien laut Lliuya die eigentlich die Verursacher*innen verantwortlich. „Die Verursacher des Klimawandels müssen endlich Verantwortung übernehmen“ so Lliuya.

In seiner Klage fordert er, dass RWE gemäß deren Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen, wichtige Sicherheitsvorkehrungen wie einen Damm mitfinanziert. Bei dem Anteil der Emissionen von etwa 0,4 % und den Kosten für einen Damm von etwa 3,5 Millionen Euro würde sich die Summe auf etwa 17.000 Euro belaufen, die bei Durchführung der Schutzmaßnahmen gezahlt werden müsste.

2016 wurde Lliuyas erste Klage vom Landgericht Essen mit der Begründung abgewiesen, dass Emissionen einem Unternehmen nicht anteilig oder individuell zugeordnet werden können. Nachdem Lliuya und seine Anwältin Berufung eingelegt hatten, befand das Oberlandesgericht Hamm die Klage für schlüssig. Für eine angeordnete Beweisaufnahme reiste 2022 eine Gruppe aus Richter*innen, Anwält*innen und Gutachter*innen nach Peru um die Lage zu beurteilen. Lliuya wertet dies bereits als kleinen Erfolg.

Die Klage ist so besonders, weil sie einen Präzedenzfall, also eine gerichtliche Entscheidung, die als Maßstab für andere Fälle herangezogen wird, schaffen könnte. Es handelt sich bei Lliuyas Klage um die erste Klage auf unternehmerische Haftung für klimawandelbedingte Risiken, die es in die Beweisaufnahme geschafft hat. Das erste Mal hat ein Gericht also versucht, die Frage zu beantworten, wer die Schuld an der Klimakrise und den sich daraus ergebenden Konsequenzen trägt. Das Ergebnis hat damit weitreichende Folgen dafür, wie mit Haftung für Klimaschäden zukünftig umgegangen wird.1,2

Das Gericht hat nun eine Entscheidung gefällt und die Schlagzeilen könnten nicht unterschiedlicher sein. Man liest von einer abgewiesenen Klage, von einem historischen Urteil für den Klimaschutz und RWE bezeichnet den Versuch, einen Präzedenzfall zu schaffen, als gescheitert.

Das Urteil lehnt die Klage auf Haftung von RWE ab, der Konzern muss sich an den Schutzmaßnahmen also nicht finanziell beteiligen. Das Urteil ist jedoch lang und stellt fest, dass der Anspruch auf Haftung grundsätzlich geltend gemacht werden kann. Das Risiko für eine Beeinträchtigung des Grundstücks wurde jedoch als zu niedrig befunden.

Die Klage hat es geschafft, in gewissen Punkten wegweisend zu sein. Die Umweltorganisation Germanwatch e.V. hat die wichtigsten Aspekte des Urteils aufgeführt.

Grundsätzlich sind zivilrechtliche Klagen, also Klagen von Bürger*innen, in Zusammengang mit den Folgen des Klimawandels möglich und Gerichte können darüber entscheiden ob Unterlassung oder Schadensersatz fällig wird. Ebenso kann der Paragraf 1004 BGB, auf den Lliuya sich in seiner Klage beruft und der das Eigentum durch Fremdeinwirkung schützt, im Kontext der Klimakrise Anwendung finden und ist über Landesgrenzen hinweg gültig. Die Komplexität des Klimawandels steht der Haftung dabei nicht entgegen. Entscheidend ist lediglich, dass die Folgen eindeutig mit dem Klimawandel zusammenhängen.

RWE wird in dem Urteil als „erheblicher“ Emittent genannt. Diese Bezeichnung hat große Bedeutung. Die Argumentation von RWE, dass mit einer geglückten Klage dann in Zukunft auch jede*r Autofahrer*in auf Schadensersatz verklagt werden könne, wies das Gericht damit zurück, dass es sich bei den anteiligen Emissionen von 0,38 % aller industriellen Emissionen um eine „erhebliche“ Menge handele, die klar von kleinen Emittenten abzugrenzen sei.

Ein weiterer Aspekt des Urteils ist, dass die Genehmigung von Verhalten durch deutsche Behörden nicht vor den Rechtsfolgen durch entstandene Schäden schützt. Auch dies steht gegen die Argumentation RWEs, sie hätten sich an alle Vorschriften gehalten und können daher nicht in die Verantwortung gezogen werden.3

Diese Feststellungen des Urteils sind einzigartig und es kann sich bei zukünftigen Klagen auf sie bezogen werden. Das Urteil scheiterte dieses Mal an dem Gutachten, welches keine hinreichende Gefährdung für das Grundstück feststellen konnte. Das Urteil kann also dennoch als Erfolg gedeutet werden. Die Umweltorganisation Germanwatch e.V. sowie Lliuya und seine Anwältin sehen das Ergebnis trotz der ausbleibenden Zahlungsverpflichtung als Erfolg. „Heute haben die Berge gewonnen – auch wenn es in meinem Fall nicht weitergeht, hat meine Klage Wichtiges erreicht. Das macht mich stolz: Große Verursacher der Klimakrise müssen für die Folgen Ihres Tuns einstehen, können rechtlich haftbar gemacht werden.“ so Lliuya nach dem Prozess.4,5

Erstaunend ist bei diesem Urteil die Reaktion von RWE, die das Ergebnis in ihrer eigenen Pressemitteilung vom 28.5. als klaren Sieg gegen den Versuch sehen, Unternehmen für Klimaschäden haftbar zu machen. Sie bezeichnen die zivilrechtliche Haftung für Klimaschäden als nach dem deutschen Recht unzulässig.6 Dies geht in dieser Allgemeinheit aus dem Gerichtsurteil jedoch nicht hervor. Dieses erkennt eine zivilrechtliche Haftung als grundsätzlich möglich an. Zusätzlich verweist RWE in ihrer Pressemitteilung auf die Vereinbarkeit der eigenen Ziele mit dem 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens. Zwar hat RWE die Emissionen seit 2018 mehr als halbiert, hat letztes Jahr jedoch immer noch etwa 75,4 Millionen Tonnen CO₂ emittiert. Zusätzlich hat das Handeln von RWE starke soziale Auswirkungen. So wurde 2023 nach langen Protesten das Dorf Lützerath für Braunkohleabbau geräumt. 7,8

Die Zukunft der Klimaklagen ist nicht gewiss, man kann jedoch hoffen, dass Unternehmen in Zukunft das Risiko der Klage mit einkalkulieren und so größere Versuche unternehmen, CO₂ Emissionen zu senken und die negativen Auswirkungen ihres Handelns zu minimieren.

  1. Mehr Informationen bei der Tagesschau unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/klage-rwe-kleinbauer-peru-100.html
  2. Eine detaillierte Beschreibung des Falles: https://rwe.climatecase.org/de
  3. Analyse der Urteilsergebnisse: https://rwe.climatecase.org/sites/default/files/2025-05/Analyse%20Urteil%20OLG%2028.5.25.pdf
  4. https://www.germanwatch.org/de/bahnbrechendes-urteil-der-klimaklage-gegen-rwe
  5. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/energie/rwe-klima-klage-peru-landwirt-100.html
  6. https://www.rwe.com/presse/rwe-ag/2025-05-28-olg-hamm-weist-berufung-des-peruanischen-klaegers-als-unbegruendet-zurueck/
  7. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/rwe-gericht-weist-klima-klage-eines-landwirts-aus-peru-zurueck/100129643.html
  8. Infos zur Besetzung und Räumung von Lützerath: https://de.wikipedia.org/wiki/Besetzung_und_R%C3%A4umung_von_L%C3%BCtzerath